Andreas Malm: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt

Müssen die Bewegungen radikaler werden? Andreas Malm von der Universität Lund und seit Mitte der 1990er selbst Klimaaktivist sagt: ja! Tatsächlich mit Ausrufezeichen.

Dem folgenlosen Blabla der internationalen Klimadiplomatie entspricht ein ebenso folgenloses Blabla auf den Plakaten der Klimabewegung von 2019, findet er. Es ist die dritte Welle der Klimabewegung nach der ersten zwischen 2006 und 2009 und der zweiten zwischen 2011 und 2016.

Malm geht in seinem Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ (Matthes & Seitz) hart mit Fridays for Future und noch härter mit Extinction Rebellion (XR)1 ins Gericht. Vor allem Letzteren kreidet er einen „strategischen Pazifismus“ an, der darin gipfelt, dass XR-Aktivist*innen bei ihren Blockaden noch Streicheleinheiten für die Polizei übrig haben. Der strategische Pazifismus, so Malm, sei ahistorisch. Alle sozialen Bewegungen, die etwas erreicht haben, setzten immer auch auf radikale Akte der Sabotage. Als die drei wichtigsten Bewegungen nennt er die Suffragetten, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und den Widerstand gegen die Apartheid durch den ANC.

„Instruktiv sind die Suffragetten“, schreibt Malm. „Ihre bevorzugte Taktik war die Zerstörung von Eigentum“, durch eingeworfene Fensterscheiben, brennende Briefkästen oder Angriffe auf Statuen überall in London. Malm zitiert Emily Pankhurst: „In der einen oder anderen Form militant zu sein, ist eine moralische Verpflichtung.“

Charles Cobb schrieb 2014 im Rückblick auf die frühen 1960er in den USA: „Von Anfang an war die Grenze zwischen bewaffneter Selbstverteidigung [der Schwarzen] und der gewaltlosen Geltendmachung der Bürgerrechte verschwommen.“ Martin Luther King selbst setzte die bewaffnete Selbstverteidigung als Druckmittel ein, um die US-Regierung vor bürgerkriegsartigen Zuständen zu warnen. Malms Fazit: „Die Bürgerrechtsbewegung errang den Civil Rights Act, gerade weil sie über eine radikale Flanke verfügte, welche sie in den Augen der Staatsmacht wiederum als kleineres Übel erscheinen ließ.“

Drittes Beispiel: der ANC. Nach dem Massaker von Sharpsville 1960 erkannte Nelson Mandela: „Es ließ sich nicht mehr bestreiten, dass unsere Politik, einen nichtrassistischen Staat durch Gewaltlosigkeit herzustellen, so gut wie nichts erreicht hat.“ Es folgten Anschläge gegen militärische Einrichtungen, Kraftwerke, Telefonleitungen und Transportverbindungen.

Alle drei Bewegungen erhöhten mit militanter Sabotage den Druck, wobei der ANC am längsten auf einen Erfolg warten musste.

„Die Klimagerechtigkeitsbewegung muss lernen, das business as usual zu stören“, schreibt Malm, und mit „stören“ meint er: militante Sabotage. Der Protest muss weh tun, er muss über das gespiegelte Blabla hinauskommen.
Malm bringt im Laufe des Buches auch zahlreiche Fakten zur dramatischen Lage des Klimawandels. Aber anders als viele Autor*innen bisher stellt er dies mit drei wichtigen Punkten in Zusammenhang.

1. Es geht darum, das Eigentum anzugreifen. Denn es ist die kapitalistische Ordnung des Eigentums mit dessen rechtlich verbrieftem Schutz, die es ermöglicht, ungestraft und ohne Konsequenzen Treibhausgase zu emittieren. Die Sabotage muss also beim „fossilen Eigentum“ ansetzen. Eben Pipelines anbohren, sprengen – was, wie Malm zeigt, in vielen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten oft genug gemacht worden ist, nur nicht in Europa.

2. Die Auseinandersetzung um den Klimawandel ist wegen der Eigentumsverhältnisse und des Gefälles zwischen Globalem Süden und Globalem Norden ein globaler Klassenkampf.

3. Nicht alle CO2-Emissionen sind gleich schlecht. Es ist dringend zu unterscheiden zwischen Luxus-Emissionen vor allem im Globalen Norden (Yachten, Privatjets, SUVs) und Subsistenz-Emissionen im Globalen Süden (die Holzverfeuerung zum Kochen etwa von Bäuerinnen in Indien). Die Gilets Jaunes sieht Malm genau in diesem Kontext: die an die Ränder verbannten Leute gegen die Pariser Elite, die meint, im Namen des Klimaschutzes den Spritpreis ohne Berücksichtigung des wirtschaftlichen und sozialen Kontextes zu erhöhen. Das Benzin der Gilets Jaunes ist in der neoliberalen Gesellschaft der 2010er Jahre eine Subsistenz-Emission der Abgehängten, um irgendwie noch 50 bis 100 Kilometer zu einem schlechtbezahlten Job pendeln zu können. Solange die Klimabewegung hier nicht trennscharf wird, ist sie unglaubwürdig, ja, dann ist sie eine bürgerliche Bewegung, in der sich eine Klasse über die andere stellt.

Diese drei Punkte machen Malms Argumentation für mehr Militanz stimmig, finde ich. Sie ist dabei kein Plädoyer gegen gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Für Malm ergänzen sich beide, müssen sich sogar ergänzen. Und taktisch gesehen darf es keine Absprachen zwischen beiden Flügeln geben, um die mediale Wirkung und Anschlussfähigkeit des „friedlichen“ Teils – die Malm anerkennt – zu gefährden.

Die Militanz muss dabei der Grundidee der direkten Aktion folgen: das anzugreifen, was schädlich ist. Malm zitiert hier William Smith: „eine direkte Aktion sollte auf die Störung von Praktiken beschränkt sein, die zu ernsthaften und irreversiblen Schäden führen oder diese unmittelbar zu verursachen drohen.“ (Aus: „Disruptiv Democracy. The Ethics of Direct Action“) Militanz erfordert also Reflexion, was angegriffen werden soll. Militanz um ihrer selbst willen erreicht hingegen nichts.

Genau hier gibt es auch eine interessante Verbindung zur Bewertung der G20-Proteste, die man in diesem Zusammenhang noch einmal betrachten könnte. Haben die militanten Aktionen des G20-Freitags der Anforderung an direkte Aktionen genügt? Ich würde sagen: nein. Haben Arrivati Park und Schanzen-Riot im Verbund gewirkt, wenn auch ohne Absprachen? Ja. Das wäre auf jeden Fall noch mal eine Diskussionsrunde wert.

Wichtig ist, auch wenn Malm es so nicht explizit formuliert, dass die beiden Flügel einer Bewegung sich nicht gegenseitig voneinander distanzieren. Der „friedliche“ Teil nicht vom militanten, der militante aber auch nicht vom „friedlichen“ (die Anführungszeichen setze ich, weil mir dieses mediale Framing bei jeder Demo, sie sei „friedlich“ geblieben, auf die Nerven geht).

Der „friedliche“ Teil muss dafür aber lernen, Gewalt gegen Sachen von Gewalt gegen Personen zu trennen. „Man kann ein Auto nicht grausam behandeln oder zum Weinen bringen“, schreibt Malm trocken. Dieser Lernprozess dürfte aber nach jahrzehntelanger Propagandha, Gewalt etwa gegen Autos sei genauso verabscheuungswürdig wie das Angreifen oder Verprügeln von Menschen sicher langwierig werden.

Als Fazit lässt sich Malms Buch auf den Satz bringen: „Die Kunst, die es demnach zu meistern gilt, ist die der kontrollierten politischen Gewalt.“ Die Zeit des reinen Redens und Appellierens ist vorbei.

(nbo, 2021)

  1. Zur Kritik an XR-Vordenker Roger Hallam siehe diesen Beitrag im Sägemehl